Zystische Nierenerkrankungen (ARPKD/ADPKD) und syndromale primäre Ziliopathien
Zystische Nierenerkrankungen stellen eine klinisch und genetisch heterogene Krankheitsgruppe dar, die in erster Linie durch eine progrediente Zystenbildung mit Verlust der Nierenfunktion charakterisiert ist. Die autosomal dominante polyzystische Form (ADPKD, häufig auch als adulte Zystennieren-Form bezeichnet) zählt mit einer Prävalenz von ca. 1000 zu den häufigsten Erbkrankheiten überhaupt. Klinische Symptome manifestieren sich meist erst im Erwachsenenalter, etwa die Hälfte der Patienten wird in der 6./ 7. Lebensdekade dialysepflichtig. Etwa 80% der Familien weisen eine Keimbahnmutation im PKD1-Gen (Chromosom 16p13) auf, während die restlichen Familien eine PKD2-Mutation (Chromosom 4q21) tragen. Etwa 2% aller ADPKD-Patienten zeigen eine sog. frühmanifeste Verlaufsform. Hierunter versteht man krankheitsbezogene Symptome wie z. B. Bluthochdruck oder eingeschränkte Nierenfunktion, die bereits im Kindes- und Jugendalter auftreten. Gelegentlich manifestiert sich die Erkrankung jedoch auch bereits pränatal und kann dann aufgrund einer Potter-Sequenz mit massiv vergrößerten Nieren und Oligo-/Anhydramnion zum perinatalem Tod der Kinder führen.
Die wichtigste Differenzialdiagnose bei Patienten mit einer pränatalen Manifestation einer ADPKD stellt die autosomal rezessive Form der polyzystischen Nierenkrankheit (ARPKD, häufig auch als frühkindliche Zystennieren-Form bezeichnet) dar mit Mutationen im PKHD1-Gen auf Chromosom 6p12, dessen Identifizierung uns 2002 im Rahmen eines deutsch-amerikanischen Konsortiums zeitgleich mit einer anderen US-amerikanischen Arbeitsgruppe gelang. Der längste offene Leserahmen (ORF) umfasst 66 Exons und kodiert ein Typ 1-Membranprotein von 4074 Aminosäuren (Polyductin/ Fibrocystin). Unsere Arbeisgruppe beschäftigt sich im Rahmen langjährig geförderter Studien intensiv mit Fragestellungen auf dem Gebiet der ARPKD sowie frühmanifesten ADPKD-Formen. Seit 2003 betreiben wir außerdem die PKHD1-Mutationsdatenbank (www.humgen.rwth-aachen.de) mit dem Ziel alle Varianten des Gens zu katalogisieren und zu validieren und diese Information der wissenschaftlichen Gemeinschaft sowie Ärzten und ratsuchenden Familien zur Verfügung zu stellen. Im Rahmen des Ausbaus der Mutationsdatenbank besteht darüber hinaus eine Kooperation mit dem ARPKD-Patientenregister (ARegPKD).
Praktisch alle Zystoproteine (Sammelbezeichnung für Proteine, die zystischen Nierenerkrankungen zugrunde liegen) ko-lokalisieren im Bereich primärer Zilien, Basalkörpern und Zentrosomen. Die meisten Zelltypen im Körper weisen primäre, nicht-motile Zilien auf. Sie erfüllen viele unterschiedliche Funktionen und dienen als Mechano-, Chemo- und Osmosensoren. Darüber hinaus spielen sie bei zahlreichen Signalwegen für eine adäquate Organentwicklung, für die Aufrechterhaltung der Gewebehomöostase und bei grundsätzlichen Entwicklungsprozessen eine wichtige Rolle. Auf diesem Hintergrund haben wir in den vergangenen Jahren bewusst unser diagnostisches und wissenschaftliches Spektrum auch auf syndromale Zilienerkrankungen wie das Meckel-Gruber Syndrom (MKS), Joubert-Syndrom (JSRD), Bardet-Biedl Syndrom (BBS) sowie die Gruppe der Nephronophthisen (NPHP) erweitert.
Trotz ihrer vermeintlichen Seltenheit haben diese Erkrankungen entscheidend zur Charakterisierung der der Zystogenese zugrunde liegenden Mechanismen beigetragen und hierbei insbesondere die Bedeutung primärer Zilien und Basalkörper unterstrichen.
Ziliopathien zeigen beträchtliche klinische Überlappungen ihrer Phänotypen und Mutationen im gleichen Gen können zu sehr unterschiedlichen klinischen Bildern und syndromalen Entitäten führen. Ebenso wie zystische Veränderungen der Nieren treten Pathologien anderer Organe bei diesen syndromalen Krankheitsbildern gehäuft auf. Diese beinhalten Gallengangsdysgenesie
mit kongenitaler Leberfibrose, Augendefekte, Neuralrohrveränderungen und andere ZNS-Anomalien, Skelettpathologien insbesondere der distalen Extremitäten und Finger sowie häufig auch eine Entwicklungsverzögerung bzw. geistige Behinderung. Ein hohes Maß genetischer Heterogenität im Rahmen der Ziliopathien ist evident und viele dieser Gene liegen unterschiedlichen Phänotypen zugrunde. Dies zeigt zum einen die Restriktionen eines Phänotyp-basierten Klassifikationssystems und zum anderen das Ausmaß der klinischen Variabilität, die mit Mutati-onen desselben Gens einhergehen kann. Nur wenige dieser Variabilitäten können sicher auf allelische Effekte zurückgeführt werden, bei anderen scheinen ergänzend vorliegende Veränderungen anderer Zilien-Gene eine Rolle zu spielen (sog. "mutational load"-Theorie). In der Tat konnten für BBS, JSRD und NPHP oligogene Vererbungsmuster nachgewiesen werden, bei der Mutationen in mehr als zwei Allelen und mehr als einem Gen für die Entwicklung der Krankheit erforderlich sind.
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