Alles aus dem Fluss: Wie COVID-19 das Herz dauerhaft schädigt

Internationales Forschungsteam zeigt mithilfe innovativer Verfahren erstmals auf, wie die Entzündung bei COVID-19 die kleinsten Gefäße im Herzen dauerhaft verändert.

Für Patientinnen und Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann eine COVID-19-Infektion oder eine Grippe im akuten Verlauf, aber auch als Langzeitfolge schwerwiegende, lebensbedrohliche Folgen für das Herz bedeuten. Auch wenn COVID-19 das Herz häufiger befällt als eine Grippe-Infektion, reicht das Spektrum hier von einer akuten Herzmuskelentzündung bis zu einer langfristigen Einschränkung der Pumpfunktion des Herzens. Die grundlegenden Schädigungsmuster konnten bis zum heutigen Tag nicht gänzlich nachgewiesen werden. Ein interdisziplinäres Forschungsteam um Univ.-Prof. Dr. med. Danny Jonigk, Direktor des Instituts für Pathologie an der Uniklinik RWTH Aachen, Christopher Werlein und PD Dr. Mark Kühnel der Medizinischen Hochschule Hannover, PD Dr. Maximilian Ackermann der Universitätsmedizin Mainz, und Prof. Tim Salditt des Instituts für Röntgenphysik der Universität Göttingen konnten mithilfe eines neuen hochauflösenden Röntgenmikroskop zeigen, wie beide Infektionen langfristig das Herzgewebe schädigen und umbauen. Molekulare Daten konnten zudem zeigen, dass im Vergleich zur Grippe und anderen viralen Herzmuskelentzündungen die andauernde Entzündung bei COVID-19 langfristig die kleinsten Gefäße umbaut, indem spezielle Vorläuferzellen des Immunsystems aus dem Blut in das Herz gelotst werden. Die Studie wurde nun im renommierten Fachjournal „Angiogenesis“ publiziert.

Auch wenn COVID-19 und die saisonale Grippe schwerwiegende Erkrankungen der Atemwege und der Lunge sind, kommt es häufig zu einer Schädigung des Herzmuskels mit gravierenden Komplikationen. Bis zu 30 Prozent der schwererkrankten Patientinnen und Patienten klagen nach einer COVID-19-Erkrankung über anhaltende Beschwerden und Funktionseinschränkungen des Herzens. Demnach reicht das Spektrum von Kurzatmigkeit bis hin zu schweren Einschränkungen einer Herzinsuffizienz oder einer Herzmuskelentzündung, einer sogenannten viralen Myokarditis. Die zugrundeliegenden Mechanismen dieser langanhaltenden Herzmuskelschädigung sind allerdings bis zum heutigen Tag noch nicht vollständig verstanden.

Untersuchung des Herzgewebes mittels innovativer Verfahren

Ein internationaler Forschungsverbund hat hierzu mithilfe innovativer molekularer Verfahren wie der Multiplex-Immunphänotypisierung -und Transkriptomik, als auch dank eines hochauflösenden speziellen Röntgenmikroskops, der sogenannten Synchrotron-basierten Mikrocomputertomographie, Herzgewebe von schweren COVID-19-Verläufen, Influenza-Grippe-Patienten, als auch mit viralen Myokarditiden verglichen.

Dabei konnten die Forschenden nachweisen, dass es bei der COVID-19-Herzschädigung zu einem speziellen morphomolekularen Muster kommt, welches sich bedeutsam von einer Influenza oder einer Virusmyokarditis unterscheidet. Denn bei den Entzündungsprozessen bei COVID-19 kommt es gerade zur einer Vermehrung und Ansammlungen von fehlaktivierten Entzündungszellen im Herzmuskelgewebe, den sogenannten Makrophagen und ihrer Vorläuferzellen, den Monozyten. „Monozyten und Makrophagen übernehmen im Körper wichtige Abwehr- und Umbaufunktionen wahr. Bei COVID-19 allerdings besiedeln diese fehlaktivierten Fresszellen vorwiegend den Herzmuskel und führen langfristig zu einer beginnenden Vernarbung und zu einem Umbau des Herzmuskelgewebes, was zu einer dramatischen Funktionseinschränkung des Herzens führt“, erläutert Mark Kühnel von der Medizinischen Hochschule Hannover. Mithilfe der Multiplex-Immunphänotypisierung konnten die Forschenden aufzeigen, dass der Subtyp der CD11b+/TIE2+ Monozyten innerhalb der Herzmuskelzellen, als auch innerhalb der Gefäßwand von kleinsten Herzkranzgefäßen aktiviert wird. „Die CD11b+/TIE2+-Monozyten spielen insbesondere eine herausragende Bedeutung als Kernakteure der Blutgefäßneubildung, die in kürzester Zeit das Blutgefäßsystem umbauen können“, ergänzen Christopher Werlein und Prof. Danny Jonigk.

Neubildung des Gefäßnetzwerkes

Dank der Vernetzung dieser hochauflösenden Verfahren konnte das internationale Team zusätzlich nachweisen, dass auch im COVID-19 Herzgewebe innerhalb dieser wenigen Millimeter dicken Herzgefäße- und Kapillaren kleinste Ultrathromben zu finden sind, die zu erheblichen Veränderungen des Kapillarstrombettes führen und mit einer Blutgefäßneubildung vergesellschaftet sind. Im Vergleich zu einer Influenza- oder klassischen Virusmyokarditis beobachteten die Forschenden eine verstärkte Blutgefäßneubildung durch die sogenannte intussuszeptive Angiogenese, die das Team bereits als Schädigungsmuster in andern Organen bei COVID-19 beschrieben hat. „Wir konnten bereits zu Beginn der COVID19-Pandemie zeigen, dass es sich bei COVID-19 um eine Viruserkrankung handelt, die systemisch alle Gefäße im Körper angreift und spezifisch das vorhandene Gefäßbett über die intussuszeptive Angiogenese langfristig umbaut, was sich nunmehr auch im Herzen bestätigt hat“, erläutert Maximilian Ackermann von der Universitätsmedizin Mainz. Dem internationalen Team gelang es hierbei auch erstmalig nachzuweisen, dass bei diesem Prozess insbesondere die über die Entzündung aktivierten CD11b+/TIE2+-Monozyten für die Neubildung des Gefäßnetzwerkes genutzt werden.

Phasenkontrast-Mikrotomographie macht Unsichtbares sichtbar

Um die feingeweblichen Veränderungen der Herzschädigungen dreidimensional und detailgenau aufzeigen zu können, nutzten die Forschenden hochbrillante Röntgenstrahlung, die am Speicherring PETRAIII des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) in Hamburg erzeugt wird. Mithilfe dieser virtuellen dreidimensionalen Histologie konnte die räumliche Verteilung von Entzündungszellen, Blutgefäßen bis hinunter zu den kleinsten Kapillaren und Vernarbungsprozesse zwischen den Herzmuskelfasern dargelegt werden. „Mit der Phasenkontrast-Mikrotomographie können wir für Pathologen und viele Forschende das Unsichtbare sichtbar machen und ihnen einen ungeahnten dreidimensionalen Blick in viele Erkrankungen geben“, so ist sich Tim Salditt vom Institut für Röntgenphysik der Universität Göttingen sicher, der das Verfahren seit vielen Jahren mit seinem Team erforscht hat.


Originalpublikation:
Werlein C*, Ackermann M*, Stark H, Shah HR, Tzankov A, Haslbauer JD, von Stillfried S, Bülow RD, El-Armouche A, Kuenzel S, Robertus JL, Reichardt M, Haverich A, Höfer A, Neubert L, Plucinski E, Braubach P, Verleden S, Salditt T, Marx N, Welte T, Bauersachs J, Kreipe HH, Mentzer SJ, Boor P, Black SM, Länger F, Kuehnel M*, Jonigk D*. Inflammation and vascular remodeling in COVID-19 hearts. Angiogenesis. 2022 Nov 12. doi: 10.1007/s10456-022-09860-7. Epub ahead of print.


 

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Abbildung: Mithilfe der Synchrotron-basierten Phasenkontrast-Computertomographie konnten die Schädigungsmuster von COVID-19, Influenza und anderen viralen Myokarditiden auf das Gefäßsystem dargestellt werden. (Bildquelle: Tim Salditt, Universität Göttingen)

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