Vier Fragen zum Thema Arzneimittelengpass

Nachgefragt bei Priv.-Doz. Dr. Eisert

Im Gespräch mit Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Albrecht Eisert Chefapotheker in der Uniklinik RWTH Aachen

Herr Priv.-Doz. Dr. Eisert, seit einiger Zeit kommt es immer wieder zu Lieferengpässen bei Arzneimitteln. Woran liegt das?

Dr. Eisert: Die Hauptursache für Lieferengpässe ist die Marktverengung in den vergangenen Jahren. Zahlreiche Wirkstoffe werden nur noch von wenigen Unternehmen im Ausland produziert. In Deutschland ist das unter anderem auf die sogenannten Rabattverträge zurückzuführen, bei denen die Krankenkassen jedes Jahr Wirkstoffe ausschreiben und den Zuschlag an die günstigsten Anbieter vergeben. In der Praxis heißt das: Hersteller von Arzneimitteln, die den Zuschlag nicht erhalten, müssen oftmals aus wirtschaftlichen Gründen die Produktion einstellen, es bleiben nur wenige Anbieter übrig. Wenn nur bei einem dieser Anbieter die Produktion ausfällt, können die anderen Anbieter diesen Ausfall kaum abfangen. Die Corona-Pandemie hat uns eindrucksvoll vor Augen geführt, wie abhängig wir von internationalen Lieferketten sind, insbesondere aus dem asiatischen Raum. Wie sich der Ukraine- Krieg und der Einfl uss Chinas auf unsere Arzneimittelversorgung auswirkt, ist im Moment noch schwer abzuschätzen. Da Lieferengpässe mittlerweile ein nationales Problem darstellen, können Firmen ihre Engpässe in eine Datenbank des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eintragen. Krankenhausapotheker beraten das BfArM bei Substitutionsfragen und bei der Suche nach Lösungen.

Welche Folgen haben die Lieferengpässe?

Dr. Eisert: Wir müssen zwischen Lieferengpässen und Versorgungsengpässen unterscheiden. Aus einem Lieferengpass eines Arzneimittels wird dann ein Versorgungsengpass, wenn es keine geeigneten Behandlungsalternativen gibt. Natürlich muss man in diesem Zusammenhang den Schweregrad des zu behandelnden Krankheitsbildes berücksichtigen. Erhebliche Auswirkungen auf die Behandlung kann es zum Beispiel bei Antibiotika oder Onkologika geben. Es ist objektiv betrachtet ein Unterschied, ob ich ein paar Wochen keine Kopfschmerztabletten bekomme, hier gibt es Alternativen, oder ob ich auf ein wichtiges Medikament für eine Krebstherapie angewiesen bin, wobei ich das individuelle Leiden von Menschen mit Kopfschmerzen nicht schmälern möchte. Aber auch Lieferengpässe können sich nachteilig auf die Behandlung auswirken. Ich habe dann zwar ein anderes Medikament, das aber nicht passgenau ist und eine Therapieumstellung bedeutet. Problematisch ist ein Austausch insbesondere bei Wirkstoffen mit einer engen therapeutischen Breite. Das alles kann im schlechtesten Fall zu einer Gefährdung der Patientensicherheit führen und vermindert nachweislich die Adhärenz der Patienten.

Was kann ich als Patient bei Lieferengpässen tun?

Dr. Eisert: Wer regelmäßig auf Medikamente angewiesen ist, sollte nicht warten, bis die Packung leer ist, sondern sich möglichst frühzeitig um die Folgepackung kümmern. So haben der Arzt und die Apotheke im Fall eines Engpasses mehr Zeit, sich um eine passende Alternative zu bemühen – zum Beispiel um ein wirkstoffgleiches Arzneimittel, das sogenannte Generikum. Ist auch dieses Medikament nicht lieferbar, kann die Apotheke den behandelnden Arzt bezüglich eines Rezeptes für einen anderen Wirkstoff kontaktieren. Die individuelle Beratung und Information des Patienten hat hierbei immer oberste Priorität. Sehr wichtig ist, dass die Patienten immer einen aktuellen Medikationsplan bekommen sollten. Gerade bei Umstellungen auf ein nicht-wirkstoffgleiches Präparat müssen die Patienten aufgeklärt werden nicht versehentlich die alte und neue Medikation gleichzeitig einzunehmen. Bei Umstellungen auf andere Firmen kann es passieren, dass die Verpackungen gleicher Hersteller sich sehr ähneln. Das sollte unbedingt mit dem Patienten besprochen werden, damit es nicht zu Verwechslungen kommt. Außerdem empfehle ich Patienten, den Lieferengpass ihrer
Krankenkasse zu melden.

Wie stark ist die Uniklinik von den Lieferengpässen betroffen und wann wird eine Entspannung der Lage erwartet?

Dr. Eisert: Tatsächlich müssen wir fast jeden Arbeitstag ein bis drei Lieferengpässe bearbeiten. Das sind im Moment circa 600 pro Jahr. Zum Glück sind wir in einer großen Einkaufsgemeinschaft „Unico“, in der wir mit zehn weiteren Uni-Apotheken einkaufen, uns austauschen und gegenseitig helfen. Auch gibt es eine sehr schnelle und effektive Zusammenarbeit der Krankenhausapotheker (ADKA), in der Hinweise auf Eigenherstellungen, Therapieveränderungen und Kontakte zu Fachgesellschaften kommuniziert werden, so dass nur wenige Lieferengpässe Versorgungsschwierigkeiten nach sich ziehen. Das wird dann natürlich in sehr enger Abstimmung mit dem behandelndem Arzt oder der behandelnden Ärztin sowie dem Patienten oder der Patientin besprochen.

Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Albrecht Eisert Chefapotheker in der Uniklinik RWTH Aachen