Ein medizinischer Blick auf die Cannabis-Legalisierung

Besteht ein Risiko oder nicht?

Weltweit betrachtet ist Cannabis nach Alkohol und Nikotin das am dritthäufigsten konsumierte Suchtmittel. Mit dem im November 2021 vorgestellten Koalitionsvertrag kündigte die Ampel-Koalition eine kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene an. Inzwischen sind die Pläne ins Stocken geraten: Nicht nur aufgrund von ungelösten innenpolitischen Fragestellungen, sondern auch wegen völkerrechtlicher Verträge.

Drogenpolitik ist komplex und vielschichtig – so auch die Gründe, die für oder gegen eine Legalisierung sprechen. Zu den Argumenten der Befürworter zählen unter anderem die Entkriminalisierung sowie die Möglichkeit, die Qualität zu verbessern und zu überwachen. Unabhängig von den Argumenten, die für eine Legalisierung sprechen, gibt es aus medizinischer Sicht Bedenken: Insbesondere im Jugendalter kann der Konsum von Cannabis schwerwiegende Auswirkungen  auf das Gehirn und die Psyche haben. Welche Folgeschäden nach dem Konsum von Cannabis auftreten können, ist individuell abhängig von dem Alter, der Dosis, der Situation und der psychischen Verfassung eines Menschen. Je öfter  Cannabis konsumiert wird, desto höher ist auch das Risiko, gesundheitliche und soziale Folgen zu spüren. Wissenschaftliche Studien belegen, dass insbesondere bei Jugendlichen ein höheres Risiko besteht, durch den regelmäßigen Konsum  von Cannabis ihr Gehirn zu schädigen. Das kann Aufmerksamkeitsstörungen und eine verminderte Lernfähigkeit zur Folge haben. 

Schizophrene Erkrankungen

Hinzu kommt: Der Cannabis-Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) kann psychische Erkrankungen triggern: „Wir sehen leider immer wieder, dass schizophrene Erkrankungen nach häufigem Cannabis-Konsum auftreten. Bei neu auftretenden Schizophrenien in unserer Klinik trifft das bestimmt für die Hälfte der Fälle zu, Altersschwerpunkt ist 15 bis 18 Jahre“, erklärt Univ.-Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann, die Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
an der Uniklinik RWTH Aachen. Auch wenn die Risiken eines Cannabis-Konsums bei Erwachsenen im Vergleich zu Jugendlichen geringer sind, lassen sich auch hier schwerwiegende  gesundheitliche und psychische Folgen nicht ausschließen. Eine hohe Dosis kann zu einer verminderten Lern- und Leistungsfähigkeit, Apathie, gestörten motorischen Fähigkeiten, Schlafstörungen, Übelkeit und Herzrasen sowie psychotischen Symptomen führen. Bei bestimmten genetischen Mustern oder einer emotionalen Instabilität kann der Konsum Psychosen und sonstige psychische Erkrankungen triggern. Laut des jüngst veröffentlichten Jahresberichtes des UN-Büros für  Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) sind rund 30 Prozent der Suchtbehandlungen durch illegalen Drogenkonsum in der EU auf Cannabiskonsum zurückzuführen.

Dennoch steigt der Konsum von Cannabis in Deutschland an: Eine im Juli 2020 von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veröffentlichte Befragung zeigt insbesondere in der Altersgruppe der Zwölf- bis 25-Jährigen eine Zunahme an. Prof. Herpertz-Dahlmann verbindet mit der Legalisierung die Befürchtung, dass „die Freigabe für Erwachsene ein falsches Signal für die Jugendlichen ist.“ Cannabis könnte dann, ähnlich wie Alkohol, unter Jugendlichen verharmlost werden. Wird der Konsum bei Erwachsenen, die eine Vorbildfunktion einnehmen, erlaubt, könnte auch unter Minderjährigen mit einer weiteren Verbreitung zu rechnen sein. Aus wissenschaftlicher Sicht wären mit einer Legalisierung daher insbesondere für Jugendliche weitreichende psychische Folgen verbunden. Dies haben Untersuchungen in dem amerikanischen Bundesstaat Colorado vor und nach der Freigabe gezeigt.

Erhöhtes Risiko erkannt

Zu einer ähnlichen Einschätzung kamen die Delegierten beim Deutschen Ärztetag der Bundesärztekammer im Oktober 2021: Die Delegierten verwiesen dabei auf die vom Bundesgesundheitsministerium beauftragte Studie „Cannabis: Potential und Risiken. Eine wissenschaftliche Analyse“ (CaPRis), die bei Cannabiskonsumenten ein um das Zweifache erhöhtes Risiko für psychotische Erkrankungen aufzeigt. 

Zugleich sprechen sich die Delegierten jedoch dafür aus, Erst- oder Gelegenheitskonsumenten nicht zu kriminalisieren und den Besitz geringer Mengen nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen. Auch die Landesärztekammer Brandenburg forderte im September 2022,  ugendliche vor Schäden und Langzeitfolgen des Cannabis-Konsums zu schützen. Im Falle einer Legalisierung müsse auf den Jugendschutz geachtet werden.

⇒ Tipps zum Ausstieg aus der Sucht finden Sie hier.
 

MiD-digital: Thema Sucht
Im Experten-Talk spricht Moderator Dieter Haack mit Univ.-Prof. Dr. med. Thomas Frodl, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, über die Entstehung, Risikofaktoren und Auswege aus der Abhängigkeit.

Richtig oder falsch? – Cannabis
Was die Risiken von Cannabiskonsum – insbesondere aus medizinischer Sicht – betrifft, kursieren viele Mythen und Irrtümer. Im YouTube-Video nimmt Univ.-Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann einige häufig vorkommende Mythen
unter die Lupe und räumt mit Fehlinformationen auf.

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