Hintergrund

Die Magersucht (Anorexia nervosa) gehört zu den gravierendsten psychischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter in Deutschland und tritt bei jedem 50. - 100. Mädchen auf. Durch die Mangelernährung können viele körperliche und psychische Folgen auftreten, zum Beispiel die Schädigung von Organen, Knochenschwund oder Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Daher muss eine Magersucht frühzeitig und intensiv behandelt werden. Von Langzeitstudien wissen wir, dass junge Mädchen im Durchschnitt 10 Jahre ihres Lebens mit der Magersucht kämpfen – und dies während einer besonders wichtigen Lebenszeit, ihrer Jugend.

Der bisherige Behandlungsstandard bei ausgeprägtem Gewichtsverlust, die stationäre Behandlung, wird allerdings von vielen Patientinnen und Patienten als sehr einschneidend empfunden, da sie ihr soziales Umfeld meist für mehrere Monate verlassen müssen. Zudem gelingt es oft nicht, das im Rahmen der stationären Behandlung Erlernte im Alltagsumfeld umzusetzen.

Um die Behandlung bei Magersucht im Kindes- und Jugendalter zu verbessern, wurde das Konzept Home Treatment („HoT“) entwickelt. Dieses ist ein multidisziplinäres aufsuchendes Therapieprogramm, bei dem die Behandlungstermine der unterschiedlichen Berufsgruppen meistens im Zuhause der Patientinnen und Patienten stattfinden. Es bietet Kindern und Jugendlichen mit Magersucht die Möglichkeit, schon nach einer recht kurzen stationären Behandlungsphase zur körperlichen und seelischen Stabilisierung nach Hause zu gehen. In ihrer vertrauten Umgebung werden die Kinder und Jugendlichen und ihre Familien im „HoT“ weiterbehandelt und bei den alltäglichen Anforderungen begleitet. Dabei werden insbesondere auch ihre Eltern und Bezugspersonen unterstützt. Im Rahmen einer ersten wissenschaftlichen Studie, die durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW gefördert wurde, konnte in Aachen bereits gezeigt werden, dass diese HoT-Behandlung machbar ist und möglicherweise zu besseren Heilungsraten führt.

Im jetzigen Forschungsprojekt, das durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) gefördert wird, soll nun die Wirksamkeit von HoT an mehreren kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken im Vergleich zur regulären (teil-)stationären Behandlung untersucht werden. Bei beiden Behandlungsformen wird nach neustem medizinischem Wissen gehandelt. Die reguläre Behandlung wird - wie bisher in den Leitlinien empfohlen - in den Kliniken durchgeführt. Um einen Vergleich zwischen beiden Behandlungsformen zu ermöglichen, wird per Los entschieden, wer nach dem neuen „HoT“-Konzept und wer nach der bisher gängigen (teil-)stationären Behandlung behandelt wird.

Die HoT-Methode wird an fünf großen kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken in NRW ein- und durchgeführt: dem Universitätsklinikum Aachen, dem LVR-Klinikverbund an den Standorten Bonn und Viersen, der LWL-Universitätsklinik Hamm sowie dem Universitätsklinikum Münster. Die Studie ist außerdem ein Gemeinschaftsprojekt der vier gesetzlichen Krankenkassen AOK, DAK, IKK classic sowie der TK und dem Institut für Medizinische Informatik und Statistik der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Die Behandlung im HoT wird hierbei von allen gesetzlichen Krankenkassen in NRW und den meisten Privatkassen finanziert.

Es ist unser großer Wunsch, mit dieser neuen Therapiemethode den Heilungserfolg bei der Anorexia nervosa zu verbessern.