Telemedizinisches Raucherentwöhnungsprogramm für Menschen mit Gefäßerkrankungen

Rauchen erhöht nicht nur das Risiko einer Krebserkrankung, sondern treibt auch die Verengung von Arterien voran. Eine häufige Folge ist die sogenannte periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), auch bekannt unter dem Begriff „Raucherbein“, die auf eine Durchblutungsstörung in den Extremitäten zurückgeht. Trotz schwerem Krankheitsverlauf sind Betroffene häufig nicht in der Lage, ihre Tabakabhängigkeit zu besiegen. Genau hier setzt das durch den Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) mit rund 2,5 Millionen Euro geförderte Projekt der Uniklinik RWTH Aachen an: Mithilfe eines telemedizinischen Raucherentwöhnungsprogramms sollen pAVK-Patientinnen und -Patienten ihre Nikotinsucht überwinden. 

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Deutschland die häufigste Todesursache. Dazu gehört auch die pAVK. Hierbei treten Durchblutungsstörungen in den Beinen, seltener in den Armen, auf, die schlimmstenfalls zu einer Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, starken krampfartigen Schmerzen und letztlich zu Operationen und Katherterinterventionenführen können. Auch bei weniger schweren Verläufen handelt es sich um eine ernstzunehmende Erkrankung.

Zentraler Risikofaktor für die Entstehung und das Fortschreiten dieser Gefäßkrankheit ist das Rauchen: Obwohl den meisten das gesundheitliche Risiko bewusst ist, rauchen etwa 28 Prozent der deutschen Bevölkerung. An den Folgen von Tabakkonsum sterben laut dem Bundesministerium für Gesundheit jährlich über 127.000 Menschen.

Trotz Operationen und Katherterinterventionen sind Betroffene häufig nicht in der Lage, ihre Nikotinsucht zu besiegen. „Mehr als 40 Prozent der im Krankenhaus behandelten pAVK-Erkrankten rauchen. Um ihre Heilungschancen zu verbessern und weiteren langfristigen gesundheitlichen Schäden vorzubeugen, ist es notwendig, eine effektive Methode zu entwickeln, die diese Personengruppe bei der Raucherentwöhnung unterstützt“, erläutert Univ.-Prof. Dr. rer. soc. Ute Habel, Studienleiterin und Psychologin in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Uniklinik RWTH Aachen.

Individuell an den Patienten angepasste Behandlung

Mit dem Projekt möchte die Uniklinik RWTH Aachen genau dieser Patientengruppe durch ein telemedizinisches Raucherentwöhnungsprogramm helfen, ihre Tabakabhängigkeit zu überwinden. Das Forschungsteam reagiert damit auf die nationalen und europäischen Forderungen, medizinische Fachexpertisen sowie innovative Maßnahmen zur Reduktion von Tabakkonsum weiterzuentwickeln. Das Entwöhnungsprogramm ist niederschwellig, psychologisch und telemedizinisch aufgebaut. Zudem ist eine individuelle Anpassung an den Patienten oder die Patientin möglich. „Im ersten Schritt ist eine eigens für das Projekt entwickelte, individuelle, psychologisch-medizinische Beratung per Videosprechstunde vorgesehen. Sollte diese Beratung keinen Erfolg zeigen, kommen zusätzlich Rauch-Ersatztherapien zur Anwendung, um eine weitere Gesundheitsschädigung durch das Rauchen zu minimieren“, erläutert Prof. Habel das Vorgehen.

Die Intervention setzt sich aus mehreren Stufen zusammen und beinhaltet verschiedene Strategien wie Verhaltensmodifikationstechniken, medikamentöse Unterstützung und psychologische Begleitung. „Dabei rekrutieren wir in Kooperation mit verschiedenen Kliniken in Deutschland Patientinnen und Patienten, die sich aktuell in einer stationären Behandlung aufgrund einer pAVK (ab Stadium II nach Fontaine) befinden und in Folge dieser eine Revaskularisationstherapie erhalten“, so Sebastian Scheliga, Projektkoordinator und Psychologe in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Uniklinik RWTH Aachen.

Im Zuge der Untersuchungen gilt es, die Forschungsfrage zu klären, ob das Konzept, mit einem Vorgehen gemäß der S3-Leitlinien, einen höheren therapeutischen Erfolg bei Patientinnen und Patienten mit Gefäßerkrankungen erzielen kann.

Mehrstufiges Entwöhnungskonzept wissenschaftlich evaluieren

Es handelt sich um eine randomisierte Vergleichsstudie mit Interventions- und Kontrollgruppe. Dazu werden neben neuropsychologischen Daten auch Patientenerfahrungen ausgewertet. Ziel des interdisziplinären Vorhabens ist es, die Praktikabilität, Akzeptanz und Effizienz dieses mehrstufigen Entwöhnungskonzeptes für Menschen mit pAVK wissenschaftlich zu untersuchen.

Als Ergebnis des Projektes erwarten die Forschenden bei der untersuchten Interventionsgruppe eine Erhöhung der Entwöhnungsquote um rund zehn Prozent. Zusätzlich wird die Intervention gesundheitsökonomisch evaluiert und es werden persönliche Merkmale erfasst, die eine Entwöhnung bei der Patientengruppe erleichtern oder behindern.

Vielfältige Vorteile

Neben einer Reihe positiver Effekte des Rauchstopps auf Gesundheit und Lebensqualität, stellt auch die flexible Unterstützung, die der telemedizinische Ansatz mit sich bringt, einen großen Nutzen für die Studienteilnehmenden dar. „Dadurch können individuelle Bedürfnisse der Patienten hinsichtlich der Intensität und der räumlichen Anbindung besser berücksichtigt werden“, so Scheliga. Die Befreiung von einer Behandlung in Präsenz könnte langfristig geografisch bedingte Nachteile in der Suchthilfe beseitigen. So ist es denkbar, dass das Projekt bei positiven Studienergebnissen flächendeckend auch in ländlichen Gebieten eingeführt werden könnte. „Eine professionelle und effektive Unterstützung bei der Raucherentwöhnung wäre demnach für eine deutlich größere Personengruppe zugänglich und könnte auch diejenigen erreichen, die schlechter an eine medizinische Infrastruktur angebunden sind“, sagt der Psychologe.

Das Forschungsvorhaben ist nicht ausschließlich für die Entwöhnung von Patientinnen und Patienten mit Gefäßkrankheiten richtungsweisend, erläutert Prof. Habel: „Der Konsum von Tabak ist für weitere Erkrankungen bedeutsam. Die ausgearbeiteten Strukturen und das Beratungskonzept können somit auch bei anderen Risikopatienten ihren Nutzen finden. Im Erfolgsfall stellt die telemedizinische Raucherentwöhnung also eine innovative Strategie der Tertiärprävention dar, mit der sich weitere Gesundheitsschäden bei langjährigen Rauchern verhindern lassen.“

Kooperationspartner

Das Studienteam wird durch die Zusammenarbeit mit der Gefäßgesellschaft West vertreten durch Dr. med. Hinrich Böhner, Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie im Katholischen Krankenhaus Dortmund-West und Prof. Dr. med. Knut Kröger, Chefarzt der Klinik für Angiologie im Helios Klinikum Krefeld und Rainer Beckers, Geschäftsführer des Bochumer Zentrums für Telematik und Telemedizin GmbH, ergänzt.

Weitere Projektbeteiligte der Uniklinik RWTH Aachen sind Univ.-Prof. Dr. med. Gernot Marx, Leiter der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care sowie Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Ralf-Dieter Hilgers, Leiter des Instituts für Medizinische Statistik.

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