Fernüberwachung bei Krebstherapien: Schnellere Früherkennung von Komplikationen mittels KI-gestützter Wearables

Die Behandlung von Krebserkrankungen mit Chemo- und modernen Immuntherapien birgt ein Risiko für lebensbedrohliche Komplikationen, die besonders im ambulanten Sektor aufgrund lückenhafter Überwachung häufig erst spät erkannt werden. Im Rahmen einer Studie konnte ein Forschungsteam aus Aachen und Düsseldorf um Dr. med. Malte Jacobsen, Arzt in der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin (Direktor: Univ.-Prof. Dr. med. Nikolaus Marx) an der Uniklinik RWTH Aachen und Prof. Dr. med. Guido Kobbe, Leiter der Zelltherapie der Klinik für Hämatologie, Onkologie und klinische Immunologie des Universitätsklinikum Düsseldorf (Direktor: Univ.-Prof. Dr. med. Sascha Dietrich), erfolgreich nachweisen, dass eine Fernüberwachung von Vitalparametern bei Krebspatienten mittels künstlicher Intelligenz und smarter Technologie mögliche Komplikationen frühzeitig detektieren und vorhersagen kann. Der Schlüssel zum Erfolg sind sogenannte Wearables – Geräte, die vom Patienten getragen werden und ein Monitoring in Echtzeit erlauben. Die Ergebnisse der Forschungsarbeit wurden nun im Fachjournal npj digital medicine publiziert.

Für die Krebsbehandlung stationär in die Klinik? Das ist nicht zwingend nötig. Moderne Krebstherapien wie beispielsweise die CAR-T-Zelltherapie können in Zukunft möglicherweise ambulant erfolgen. Bisher ist hierfür wegen häufig auftretender, zum Teil schwerer Nebenwirkungen noch eine stationäre Überwachung notwendig. Nach der Entlassung suchen Krebspatientinnen und -patienten in einem bestimmten Wochenrhythmus eine onkologische Tagesklinik wie die der Uniklinik RWTH Aachen oder eine spezialisierte Ambulanz wie die des Universitätsklinikums Düsseldorf auf. Zwischen den Behandlungsterminen können sie wie gewohnt ihren Alltag Zuhause bestreiten. Dr. Jacobsen, Erstautor der Studie, erklärt die Problematik:

„Insbesondere im ambulanten Therapieumfeld ist die Überwachung der Patienten lückenhaft und basiert vor allem auf deren Selbsteinschätzung. Weder der Therapieverlauf noch der Zustand der Patienten kann in diesem Zeitraum vom Klinikpersonal beaufsichtigt werden. Dabei bergen Behandlungen von hämatologischen Malignomen mittels Chemo-, Strahlen- oder modernen Immuntherapien stets ein hohes Risiko für schwerwiegende Komplikationen wie Infektionen, kardiale Ereignisse und immunologische Dysregulationen, die somit erst spät erkannt werden. Das geht mit aufwändigen medizinischen Maßnahmen und einem schwereren Verlauf einher.“ Die bisherigen konventionellen Lösungsansätze für dieses Problem basieren auf häufigen, routinemäßigen Vorstellungen der Patienten in einer spezialisierten Ambulanz. Dieses Vorgehen bedeutet jedoch einen erheblichen Aufwand für Patientinnen und Patienten und das medizinische Fachpersonal. Der Bedarf an innovativen Konzepten ist entsprechend groß.

KI-gesteuerte Wearables

Inwieweit können also künstliche Intelligenz und smarte Sensortechnik dazu beitragen, lebensbedrohliche Komplikationen bei Patientinnen und Patienten mit hämatologischen Malignomen frühzeitig zu erkennen und therapeutisch zu behandeln? Dieser zentralen Frage sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Uniklinik RWTH Aachen und des Universitätsklinikums Düsseldorf in ihrer Forschungsarbeit „Wearable based monitoring and self-supervised contrastive learning detect clinical complications during treatment of Hematologic malignancies“ nachgegangen.

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und sogenannter Wearables, die durch ein nicht-invasives, kontinuierliches Monitoring medizinische Daten in Echtzeit erfassen, ermöglicht dieses Verfahren. Unter medizinischen Wearables versteht man direkt am Körper getragene elektronische Geräte, die in der Lage sind, biophysikalische Daten zu erheben. Mithilfe von „Deep Learning“ – einer Form des auf Künstlicher Intelligenz beruhenden Maschinenlernens – werden künstliche neuronale Netze trainiert, um Muster zu identifizieren und Anomalien zu erkennen, die auf Komplikationen hindeuten.

Aufzeichnung von Vitalparametern und Echtzeitüberwachung

Insgesamt 79 erwachsene Krebspatientinnen und -patienten, davon 54 aus dem stationären und 25 aus dem ambulanten Bereich, wurden am Universitätsklinikum Düsseldorf in die Studie eingeschlossen und während ihrer intensiven Behandlung hämatologischer Malignome mit Wearables ausgestattet. „Mithilfe der KI-gesteuerten Sensortechnik wurden Vitalparameter wie Herzfrequenz, Temperatur und Atemfrequenz sowie körperliche Aktivität kontinuierlich überwacht, aufgezeichnet und analysiert“, erklärt Prof. Kobbe vom Universitätsklinikum Düsseldorf und Letztautor der Studie das Vorgehen. „Mit unserer Arbeit konnten wir zeigen, dass Komplikationen, die während intensiver Krebstherapien auftreten, bereits frühzeitig zu charakteristischen Änderungen in den Wearable-Daten führen. Uns ist es gelungen, diese Veränderungen mithilfe einer KI-basierten Analyse zuverlässig zu detektieren und 48 Stunden vor der klinischen Diagnose vorherzusagen“, so der Mediziner. Die KI-Algorithmen wurden maßgeblich am Institut für Mathematische Modellierung biologischer Systeme an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Institutsleitung: Prof. Dr. Markus Kollmann) entwickelt.

Lebensqualität steigern und Krebstherapie sicherer gestalten

„Die Patientenfernüberwachung mit medizinischen Wearables stellt eine neuartige Option für die nicht-invasive Fernüberwachung von Vitaldaten und körperlicher Aktivität dar. Wearables liefern hochauflösende Gesundheitsdaten, die die Überwachungsmöglichkeiten erweitern und die Erkennung von Komplikationen in Echtzeit durch Klassifizierungsmodelle ermöglichen“, resümiert Dr. Jacobsen.

Zukünftig kann die automatisierte Früherkennung und permanente Fernüberwachung von Patienten in der Onkologie mittels eines solchen digitalen Monitoring-Systems zu einem präventiven Komplikationsmanagement führen. „Im Idealfall würden die aufgezeichneten Daten in Echtzeit analysiert, um verwertbare Informationen für eine frühzeitige und wirksame Behandlung zu liefern. Dies könnte die klinischen Pfade verbessern, beispielsweise durch die Einführung bedarfsgesteuerter Klinikbesuche, die die Arbeitsbelastung von Ärzten und Krankenschwestern verringern könnten. Darüber hinaus ist eine Minimierung der Häufigkeit von Blutentnahmen während der Behandlung von Patienten mit hämatologischen Malignomen denkbar, da neuere Forschungen auf eine gute Korrelation zwischen den von tragbaren Geräten aufgezeichneten Vitaldaten und den Ergebnissen von Labormessungen hinweisen“, zeigt sich der Mediziner optimistisch.

Es sind prospektive Bestätigungsstudien erforderlich, um den Nutzen dieses Ansatzes in der klinischen Praxis zu belegen, der sich nicht nur positiv auf die Lebensqualität der Betroffenen auswirken, sondern auch die ambulante Krebstherapie sicherer gestalten kann.

Die Originalpublikation finden Sie hier:
https://www.nature.com/articles/s41746-023-00847-2

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Dr. med. Malte Jacobsen, Arzt in der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin und Erstautor der Studie

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