Osteonekrose des Kiefers

Unter Knochennekrose (Osteonekrose) versteht man eine Erkrankung, bei der Teile eines Knochens oder der gesamte Knochen absterben. Allen Formen liegt eine unzureichende Blutversorgung des Knochens mit Mangelversorgung von Sauerstoff, Nähr- und Mineralstoffen zugrunde. Im Kopf- und Halsbereich sind der Oberkiefer und Unterkiefer hiervon am häufigsten betroffen.

In den meisten Fällen ist die Kiefernekrose entweder auf eine Bestrahlung im Kopf- und Halsbereich oder auf die Anwendung von Bisphosphonaten/Antiresorptiva, Kortikosteroiden oder antineoplastischen Substanzen zurückzuführen.

Bis vor ungefähr 20 Jahren war die häufigste Ursache für das Absterben von Kieferknochen eine vorausgegangene Bestrahlung im Kieferbereich. Durch die in den letzten Jahren zunehmend breite Anwendung von Bisphosphonaten bei der Therapie von metastasierenden Tumoren wie Mama- oder Prostatakarzinomen sowie von Osteoporose und Morbus Paget, spielen diese Medikamente heute die wichtigste Rolle für die Entstehung von Kiefernekrosen. Auch die nun verfügbaren Antikörper Denosumab und Bevacizumab können Knochennekrosen des Kiefers verursachen.

Infizierte Osteoradionekrose des Kiefers (IONJ)

Im Rahmen der onkologischen Behandlung von Patienten mit Tumoren im Kopf- und Halsbereich kann neben der operativen Resektion eine postoperative hochdosierte Bestrahlung und eventuell eine systemische Chemotherapie notwendig sein. Die frühe Strahlenfolge stellt die radiogene Mukositis dar. Es handelt sich um eine reversible Entzündung der Mundschleimhaut, die sich nach Beendigung der Strahlentherapie zurückbildet. Zu den langfristigen Komplikationen zählen die Radioxerostomie sowie die Strahlenkaries.

Eine weitere gravierende Spätfolge ist die infizierte Osteoradionekrose. Bei der Bestrahlung wird der im Strahlenfeld befindliche Kieferknochen langfristig geschädigt, da sein Abwehrvermögen durch Verminderung der Knochendurchblutung herabgesetzt wird. Bei diesen Patienten rufen die Bakterien der Mundhöhle durch kleine Defekte der Mundschleimhaut (z.B. wegen Prothesendruckstellen), Zahnentfernungen oder Entzündung des Zahnhalteapparates (Parodontitis) und Karies eine schnell fortschreitende Infektion des Kieferknochens hervor.

Zu den typischen Symptomen einer Knochennekrose gehören Schmerzen, Weichteilschwellungen, Zahnlockerungen, freiliegendes knöchernes Gewebe, Eiteraustritt aus dem Kiefer sowie ein Taubheitsgefühl im Bereich der Unterlippe und des Kinns. Aufgrund der Schwächung des Kiefers kann als spätere zusätzliche Komplikationen eine pathologische Kieferfraktur auftreten.

Das Risiko zur Entwicklung einer Osteoradionekrose erhöht sich dabei mit der applizierten Gesamtstrahlendosis:

  • geringes Risiko: Gesamtdosis < 60 Gy
  • hohes Risiko: Gesamtdosis > 60 Gy

Die meisten Nekrosen treten zwischen ein und vier Jahren nach der Bestrahlung auf. Die Durchführung von invasiven chirurgischen Eingriffen, besonders im ersten Jahr nach der Strahlentherapie, sowie Tabak- und Alkoholkonsum und eine vernachlässigte Mundhygiene begünstigen die Entstehung einer Osteoradionekrose des Kiefers.

Medikamentassozierte Osteonekrose des Kiefers (MRONJ)

Unter antiresorptiven Medikamenten versteht man eine Gruppe von Substanzen, die über eine Osteoklastenhemmung den systemischen und lokalen Knochenabbau reduzieren. Aufgrund dieses Wirkungsmechanismus sind die Medikamente bei Erkrankungen indiziert, die mit einer erhöhten Knochenresorption einhergehen. Dazu zählen primäre und sekundäre Formen der Osteoporose, angeborene Knochenerkrankungen, wie Morbus Paget oder Osteogenesis imperfecta, primäre Knochentumoren, wie das Plasmozytom oder ossäre Metastasen solider Tumoren, die insbesondere bei Mamma- und Prostatakarzinomen, aber auch bei Nieren- oder Lungentumoren vorkommen. Aus diesem Indikationsspektrum ergibt sich eine hohe Verordnungsprävalenz antiresorptiver Medikamente.

Die Bisphosphonate stellen zurzeit die wichtigste antiresorptive Stoffgruppe in der Therapie von metabolischen Knochenerkrankungen, Metastasen im Bereich des Skelettsystems, der Hyperkalzämie, des Morbus Paget und der Osteoporose dar und tragen maßgeblich zu einer Verbesserung der Lebensqualität dieser Patientengruppe bei. In den letzten Jahrzenten hat sich aber gezeigt, dass die Anwendung von Bisphosphonaten die Entstehung von Knochennekrosen im Kieferbereich hervorruft. Die konkreten Mechanismen sind bislang noch nicht endgültig geklärt. Neben der direkten Wirkung von Bisphosphonaten über den Knochenstoffwechsel mit der Minderung der Knochenumbaurate, führt diese Stoffgruppe zu einer Störung der Durchblutung im Knochen und begünstigt so eine Knochenentzündung. Aufgrund der verminderten Durchblutung des Unterkiefers ist dieser doppelt so häufig wie der gefäßreichere Oberkiefer betroffen.

Die Prävalenz für das Auftreten dieser Medikamentennebenwirkung ist abhängig von der Medikamentenunterklasse, Verabreichungsform, Behandlungsdauer und Dosierung. Grundsätzlich können Patienten mit Bisphosphonatmedikation in zwei Risikogruppen eingeteilt werden:

  • Hochrisikopatienten mit intravenöser Bisphosphonattherapie oder in Behandlung mit modernen hochwirksamen stickstoffhaltigen Amino-Bisphosphonaten
  • Niedrigrisikopatienten mit oraler Bisphosphonattherapie (Tabletteneinnahme, z. B. in der Behandlung der nicht kortikoidinduzierten Osteoporose) oder mit stickstofffreien Bisphosphonaten

Eine Begleittherapie mit Steroiden, Immuntherapie, Chemotherapie, Bestrahlung im Kopf- und Halsbereich sowie Alter, Nikotin- und Alkoholkonsum und eine schlechte Mundhygiene stellen weitere Risikofaktoren dar.

Die Symptome einer bisphosphonatinduzierten Kiefernekrose sind die gleichen wie bei der oben genannten Osteoradionekrose. Definitionsgemäß handelt es sich um eine bisphosphonatinduzierte Osteonekrose, wenn folgende Gegebenheiten vorliegen:

  • Einnahme von Bisphosphonaten (aktuell oder in der Vergangenheit)
  • Keine Bestrahlung im Kopf-/Halsbereich
  • Vorhandensein von freiliegendem Knochen über einen Zeitraum von mindestens 8 Wochen

Ähnliche Kiefernekrosen werden auch unter oder nach einer Therapie mit antiresorptiven Antikörpern wie Prolia und XGEVA (RANK-Ligand-Inhibitor Denosumab) sowie Avastin (Bevacizumab) ausgelöst. Diese Medikamente finden in der patientenorientierten Tumortherapie immer mehr Anwendung. Daher wird in der englischen Sprache am häufigsten das Akronym MRONJ (medication-related osteonecrosis of the jaw, d.h. Medikamenten-induzierte Kiefernekrose) benutzt.

Da die Bisphosphonat- und Antikörpertherapie aufgrund der ursächlichen Grunderkrankung häufig nicht pausiert werden kann, die Wirkung der Medikamente im Knochen sehr lange anhält (oft viele Monate bis Jahrzehnte nach dem Absetzen der Therapie) und die möglichen Komplikationen sehr schwierig erfolgreich und definitiv zu behandeln sind, ist die Prävention vor, während und nach der antiresorptiven Therapie von entscheidender Bedeutung.

Vor der antiresorptiven Therapie soll eine Sanierung der potenziellen Infektionsherde und Verletzungsrisiken der Mukosa erfolgen. Aufgrund der langen Halbwertszeit der antiresorptiven Medikamente sind regelmäßige Kontrollen sowie die Aufrechthaltung einer überdurchschnittlichen Mundhygiene empfehlenswert.

Unter der antiresorptiven Therapie sollten enge Recall-Intervalle für die Früherkennung von Komplikationen sowie für die Steuerung einer professionellen Zahnreinigung zur Vermeidung von parodontalen Infektionen erfolgen. Weiterhin müssen abnehmbarer Zahnersatz regelmäßig angepasst werden, damit Druckstellen verhindert werden. Chirurgische Maßnahmen sollten soweit wie möglich vermieden werden. Sollten Operationen bzw. Zahnextraktionen unumgänglich sein, wird empfohlen diese so atraumatisch wie möglich und unter antibiotischer Abschirmung bis zur Nahtentfernung (ab dem 10. postoperativen Tag) durchzuführen. Bei Zahnextraktionen und anderen dentoalveolären Eingriffen ist eine plastische Deckung des Kieferknochens mit lokaler Mundschleimhaut zwingend erforderlich.

Behandlung der Kiefernekrose

Beim Auftreten einer Kiefernekrose, egal durch welche der oben genannten Ursachen, sind je nach Schwergrad und Ausprägung verschiedene therapeutische Optionen notwendig, um die Schmerzen zu lindern sowie eine weitere Ausbreitung der Nekrose zu verhindern. Das Ziel ist die chirurgische Abtragung der nekrotischen Knochenanteile und die Deckung des Defekts sowie die Wiederherstellung von Form und Funktion. Eine intravenöse antibiotische Therapie ist indiziert aber meistens als alleinige Maßnahme nicht ausreichend. Im Fall von Abszedierungen muss zusätzlich eine Inzision und Drainage erfolgen. Dies sollte unter stationären Bedingungen erfolgen.

Bei komplizierteren Verläufen oder bei nicht seltenem Wiederaufflammen der Nekrose können Folgeeingriffe nötig werden. Wenn die gesamte vertikale Ausdehnung des Kiefers betroffen ist, kann es in ausgeprägten Fällen zu einer Unterkieferteilresektion kommen. Der Kiefer wird intraoperativ durch Metallplatten und Schrauben versorgt und stabilisiert. Nach Abflammen der Infektion und bei stabilen Wundverhältnissen kann eine knöcherne Rekonstruktion mit körpereigenem Knochen in Betracht gezogen werden.