Kohlenhydratarme Ernährung: Wie sich durch eine Ernährungsumstellung der Verlauf chronischer Krankheiten verbessern lässt

Das Lehr- und Forschungsgebiet „Molekulare Tumorbiologie“ der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie an der Uniklinik RWTH Aachen beschäftigt sich mit der Bedeutung der Ernährung für den Verlauf chronischer Krankheiten. Im Rahmen einer interdisziplinären Sprechstunde berät Univ.-Prof. Dr. med. Thorsten Cramer, Leiter des Lehr- und Forschungsgebietes, Patientinnen und Patienten mit gynäkologisch-endokrinologischen Erkrankungen hinsichtlich einer kohlenhydratarmen Ernährung.

In vielen Ländern herrscht mittlerweile die im englischen Fachjargon „Western Diet“ genannte Ernährungsform vor. Gemeint ist damit eine auf industriell hergestellten Lebensmitteln basierende Ernährungsweise, die aus zu viel Zucker und anderen hochverarbeiteten Kohlenhydraten, gesüßten Getränken und zu wenig Obst, Gemüse und Ballaststoffen besteht. Dass eine vollwertige, abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung die Grundlage ist, um den Körper gesund zu halten und die Gesundheit zu fördern, ist lange bekannt. Wissenschaftlich erwiesen ist auch, dass eine gesunde Ernährung den Verlauf und die Ausprägung einer Vielzahl von chronischen Krankheiten positiv beeinflussen kann. Insbesondere bei Erkrankungen des Stoffwechsels, wie beispielsweise Diabetes Mellitus Typ 2, kann ein gesundes Körpergewicht in einer Kombination mit einer ausgewogenen Ernährung die Blutzuckerwerte und den Blutdruck verbessern.

Weniger bekannt ist dagegen, dass auch Menschen mit chronisch-entzündlichen oder chronisch-endokrinen (hormonellen) Krankheiten von einer Umstellung der Ernährung profitieren können. „Dazu zählt zum Beispiel das Polycystische Ovarsyndrom (PCOS), eine der häufigsten Hormonstörungen bei Frauen, die unter anderem mit Beschwerden wie Gewichtszunahme, Akne sowie einem verstärkten Haarwuchs am Körper einhergeht. Da die Erkrankung auch mit Zyklusstörungen, wie dem Ausbleiben der Regelblutung verbunden ist, ist es für betroffene Frauen oft nicht möglich schwanger zu werden. Mit der Hormonerkrankung tritt sehr oft auch eine Störung der Blutzuckerregulation auf, die sogenannte Insulinresistenz“, erklärt Prof. Cramer.

Weniger Zucker, weniger hoch verarbeitete Kohlenhydrate

Seit vier Jahren berät er in der von ihm gegründeten interdisziplinären Sprechstunde Patientinnen und Patienten mit chronisch-entzündlichen, metabolischen oder hormonellen Krankheiten hinsichtlich einer Ernährungsumstellung als zusätzliches Therapieprinzip. Das Forschungsteam der Klinik für Allgemein-, Viszeral und Transplantationschirurgie konnte dabei aufzeigen, dass eine Umstellung der Ernährung auf eine kohlenhydratarme Kost bei Frauen mit PCOS zu einer signifikanten Verbesserung der subjektiven Beschwerden und objektiven Symptomen führen kann. Das Modell der kohlenhydratarmen Ernährung sieht weniger Zucker und hoch verarbeitete Kohlenhydrate und einen weitgehenden Verzicht auf gesüßte Getränke vor. Stattdessen sollte deutlich mehr Gemüse und ausreichend Obst gegessen werden, wobei Bananen, Weintrauben und Smoothies aufgrund des hohen Fruchtzuckergehalts nur in Ausnahmen konsumiert werden sollten. Patientinnen und Patienten können regelmäßig fettreichen Fisch verzehren, sollten den Konsum von rotem Fleisch jedoch auf zwei bis drei Portionen pro Woche reduzieren.

Zudem empfiehlt Prof. Cramer seinen Patientinnen und Patienten innerhalb von zwölf Stunden am Tag zu essen. „Auch wenn die Wissenschaft hier noch am Anfang steht, wissen wir, dass eine Nahrungsaufnahme von über 13 bis 14 Stunden am Tag mit Adipositas und anderen Stoffwechselerkrankungen vergesellschaftet ist. Schon eine Begrenzung der Nahrungsaufnahme auf maximal zwölf Stunden am Tag kann zu einer Gewichtsabnahme und zur Verbesserung von kardiovaskulären Risikofaktoren im Blut führen“, erklärt Prof. Cramer, der neben seiner Tätigkeit in der Klinik auch Gründungs- und Vorstandsmitglied von KetoMed e.V., einer internationalen Fachgesellschaft für kohlenhydratreduzierte und ketogene Ernährungsformen ist. Ziel der Sprechstunde ist es, Patientinnen und Patienten die Grundlagen der kohlenhydratarmen Ernährung so anschaulich zu erklären, dass sie diese mittelfristig selbstständig durchführen können.

Große Erfolge bei Patientinnen mit chronischen Erkrankungen

In enger Zusammenarbeit mit der Klinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin an der Uniklinik RWTH Aachen konnten die Expertinnen und Experten bereits über 100 Patientinnen und Patienten mit unterschiedlichen chronischen Erkrankungen betreuen. „Insbesondere bei Frauen mit PCOS und Insulinresistenz konnten wir erstaunliche Erfolge erreichen. Fast alle der Patientinnen berichteten von einer deutlichen Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens, circa 70 Prozent de Frauen haben signifikant Gewicht verloren. Am meisten beeindruckt hat uns allerdings, dass allein die Umstellung der Ernährung bei sehr vielen Patientinnen die PCOS-spezifische Symptomatik signifikant verbessert hat. Besonders faszinierend und emotional war für uns, dass fünf der Patientinnen mit PCOS und langjährig unerfülltem Kinderwunsch innerhalb von wenigen Monaten nach der Ernährungsumstellung schwanger geworden sind und gesunde Kinder zur Welt gebracht haben“, sagt Prof. Cramer.

Potenzial für innovative und effektive Strukturen

Zukünftig plant er, die ambulanten Strukturen weiter auszubauen: Angedacht sind regelmäßig stattfindende, gemeinsame Treffen der Patientinnen und Patienten, um die Motivation zu erhalten und die Ernährungsumstellung langfristig einhalten zu können. Zudem plant der Leiter der Forschung die Durchführung klinischer Studien, die den Stellenwert einer kohlenhydratreduzierten Ernährung als unterstützende Maßnahme nach einer chirurgischen Resektion von malignen Tumoren, zum Beispiel in der Leber, untersuchen sollen. In Zusammenarbeit mit der Klinik für Altersmedizin (Medizinische Klinik VI) soll zukünftig auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit eine Umstellung der Ernährung bei älteren Menschen zu einer verbesserten Funktion des Immunsystems beitragen kann. „Aus meiner klinischen Erfahrung weiß ich, wie gut und effektiv Ernährungsumstellungen bei bestimmten chronischen Krankheiten helfen können. Noch ist es leider so, dass diese effektiven Maßnahmen aufgrund fehlender ambulanter Strukturen von den betroffenen Menschen oft nicht langfristig umgesetzt werden können. Hier gibt es ein großes Potenzial für innovative und effektive Strukturen, die sich langfristig als große Hilfe für unsere Patientinnen und Patienten herausstellen könnten“, resümiert Prof. Cramer.   

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